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Gehirn in der Natur – ein grün-blauer Genuss

Zu jedem Fortschritt gehört der Stillstand. Zu jeder Anspannung gehört die Entspannung. Das ist das Grundprinzip aller biologischen Systeme. Auch wenn wir das in Zeiten von Reizflut und medialem Dauerfeuer vergessen mögen: Wir brauchen Zeiten der geistigen Ruhe. Nirgends gelingt uns das so gut wie in der Natur. Auch wenn es so aussieht, als bewege sich nichts, es passiert ganz viel im Hintergrund: Unser Gehirn räumt auf, löscht, verknüpft und mobilisiert neue Kräfte.

Der zugrundeliegende Mechanismus für die zu beobachtenden Effekte ist die sog. „attention restoration (AR)“. Man geht davon aus, daß der Aufenthalt in der Natur unsere Aufmerksamkeitsprozesse wiederherstellt, die sich im Laufe des Tages durch die Kumulation anstrengender Tätigkeiten zunehmend erschöpfen. Daher können wir uns nach einem Spaziergang oder einer Wanderung auch wieder besser konzentrieren, lernen oder uns an Dinge erinnern.

Vielleicht hat Facebook deswegen auf dem Dach seines neuen Headquarters in Menlo Park einen 9-Loch-Golfplatz mit ausgedehnten Wiesenlandschaften für die eigenen Mitarbeiter geschaffen. Kein Witz.

Auch die Entwicklung kreativer Ideen gelingt uns, einer amerikanischen Arbeit zufolge, aus demselben Grund in der Natur häufig besser, draußen mehr als drinnen, im Gehen mehr als im Sitzen. Die besten Ideen kommen, wenn alles andere geht.

Selbst der Stress im Rahmen von Prüfungen lässt nachweislich nach, wenn diese im Wald stattfindet statt in einem Versuchslabor. Die Konsolidierung von Gelerntem, als auch das freie Assoziieren von Gedanken und gewonnen Eindrücken gelingt in der freien Natur besser. Auch ich selbst habe tatsächlich immer die besten Ergebnisse erzielt, wenn ich Teile von Seminaren unter freiem Himmel gestaltete. Fortbildung unplugged – manchmal ist es erstaunlich, wie wenig PowerPoint man braucht.

Der gleiche Effekt der AR bringt auch wieder Ordnung in emotionales Chaos. Wald und Berge stimmen eindeutig positiver. Eine Studie aus Stanford zeigte jüngst, daß 90min Spazierengehen in einem Park jene Areale unseres Vorderlappens im Gehirn restauriert, die für das depressive Grübeln verantwortlich sind. Und das bei jedem Wetter. Daher vertreibt ein Spaziergang unsere schwarzen Wolken im Herzen, selbst wenn ein paar echte am Himmel hängen.

Englische und niederländische Forschungsarbeiten haben in den letzten Jahren belegen können, daß Menschen über weniger psychische Beschwerden klagen, wenn sie in der Nähe von einem Park wohnen. Als Folge hiervon sind ihre allgemeinen Stresshormone niedriger, ihre Herzfrequenz geringer und ihr Atemrhythmus stabiler -bei vergleichbarer Belastung. Der Ärger über eine rote Ampel mitten im Wald fällt also deutlich geringer aus, vorausgesetzt da stünde eine.

Wahrscheinlich moderiert die multisensorische Erfahrung in der Natur (also, was wir sehen, hören und riechen) diese psychisch gesundenden Effekte. Insbesondere das visuelleErleben der Naturfarben scheint dabei jedoch einen besonders signifikanten Einfluss auszuüben. Im Rahmen eines Experiments sank bei Insassen eines US-Gefängnis die Aggressivität, wenn sie ihr Workout im dortigen Fitnessstudio absolvierten, während sie währenddessen Naturvideos auf Monitoren verfolgten.

Wir sehen nämlich nicht mit den Augen, sondern mit dem Gehirn: Die Reizverarbeitung der beiden vorherrschenden Naturfarben „grün“ und „blau“ tragen neurophysiologisch zu einer Beruhigung bei. Sie werden zwar zu den passiven Farben gezählt, entfalten jedoch beide eine äußerst aktive Wirkung auf unser Gehirn, wenn wir uns auf sie einlassen und sie bewusst wahrnehmen.

Die Wirkmechanismen sind zum Teil noch nicht verstanden, die Effekte sind aber tatsächlich vorhanden: Der Anblick grüner Natur entspannt geistig und reduziert das Gefühl von Depressivität oder Wut. Die Sicht auf einen blauen Himmel beruhigt die Sinne und induziert das Gefühl von Geborgenheit.

Die Redensart „sich grün und blau ärgern“ ist mir in diesem Zusammenhang ehrlich gesagt ein Rätsel. Als Psychiater möchte ich widersprechen. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Doch Vorsicht vor Vereinfachung. Farben tragen nur dazu bei. Die Kraft der Natur geht darüber hinaus. Bevor Sie also Ihr Kuscheltier blau anmalen oder die Wohnung grün streichen, weil Sie Liebeskummer haben, gehen Sie lieber raus.

Es muss auch keine Zugspitzenwanderung sein. Heilsame Effekte der Natur treten bereits nach 30min lockerem Gehen bzw. Wandern auf. Optimale Effekte liegen aktuellen Auswertungen zufolge bei 50-60min.

Gönnen Sie Ihrem Gehirn also etwas AR in einer Welt, die sich immer schneller dreht.

Erleben Sie Wald und Berge und beobachten Sie, wie sich alles im Kopf legt und beruhigt, um wieder neu zu erstarken. PCs und Smartphones können immer die gleiche Leistung bringen, auch nach 2 Tagen Dauerbetrieb. Unser Gehirn benötigt jedoch noch nach wie vor ab und an einen Re-Start. Genau das ermöglicht uns der Aufenthalt in der Natur.

Gestalten Sie eine der wenigen Restaurationen, für die Sie noch keinen Handwerker brauchen. Das schaffen Sie selbst. Und preiswerter ist es auch. Sonne und Wald kosten nichts und sind für uns alle da.

Genießen Sie das natürliche Leben in einer herbstlich-sonnigen Jahreszeit voller bunter Farben.

Ihr Gehirn mag das…

 

Quellen:

The restorative benefits of nature: Toward an integrative framework. Kaplan S. Journal of Environmental Psychology1995, v.15

Giveyour ideas some legs: the positive effect of walking on creative thinking. Oppezzo M. Journal Exp. Psychol LearnMem Cogn 2014, 40(4)

40-second green roof views sustain attention: The role of micro-breaks in attention restoration. Lee K. Journal of Exp.Psychol 2015, Vol. 42

 

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Es wäre mir eine große Ehre und Freude, wenn ich Sie künftig mitnehmen dürfte auf meine Reise durch die Welt von Geist und Gehirn.

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