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Der unerschütterliche Glaube an die eigenen Geschichten

Kennen Sie das Phänomen nicht auch aus Ihrem Alltag: Wir reden uns Dinge schön, an die wir glauben wollen. Schnell finden wir pseudologische Argumente, die uns unser Denken und Handeln rechtfertigen. Dahinter offenbart sich die Neigung mögliche gedankliche Konflikte zwischen widerstrebenden Impulsen (Theorie der kognitiven Dissonanz). Das tolle daran ist: Irgendwann glauben wir uns selbst. Der Mensch hat nämlich die beeindruckend-schreckliche Gabe an seine eigenen Geschichten zu glauben, wenn er sie sich nur lange genug einredet.

Ein Beispiel: Wir sind Anhänger einer Partei, deren Fraktionsvorsitzende in einer Bundestagsrede ausgemachten Unsinn redet. In diesem Moment empfinden wir ein Unwohlsein. Denn wir erkennen die Fehler in der Rede, fühlen uns der Partei jedoch nach wie vor loyal verbunden. Da ist sie, die kognitive Dissonanz. Was jetzt passiert: Wir verteidigen unseren Lieblingspolitiker bereitwillig, in dem wir bspw. den Redenschreiber oder andere äußere Umstände für das Misslingen der Rede verantwortlich machen, statt uns selbst kritisch zu hinterfragen oder ggf. unsere Meinung über die Politik der Partei zu ändern. Es ist nämlich für das Gehirn deutlich anstrengender kritisch bleiben und Ansichten zu relativieren als Ausreden zu erfinden. Die Geschichten die wir ersinnen verhelfen uns vergleichsweise schneller zu einer inneren Stimmigkeit. Sofort geht es uns wieder gut. Der Konflikt ist gelöst.

Aus dem gleichen Grund rechnen uns das angebliche Preisangebot eines Autos schön, obwohl wir es eigentlich gar nicht brauchen. Oder wir reden uns das mittelmäßige Essen lecker, was wir selbst mit Mühe gekocht haben.

Das Phänomen der „kognitiven Dissonanz“ wurde erstmals von Leon Festinger in den 50er Jahren beschrieben, der diese Eigenschaft um 1942 bei einer Sekte in den USA (den sog. „Seekers“) beobachtete. Die Anhänger der Sekte sagten den Weltuntergang für den 21.12.1954 voraus und propagierten die bis dahin nötigen Maßnahmen zu einer umfassenden Läuterung ihrer Jünger. Ärgerlicherweise ging die Welt aber im Dezember des besagten Jahres nicht unter. Was folgte war jedoch nicht die Erkenntnis, daß jahrelange Überzeugungen der eigenen Religion möglicherweise falsch gewesen waren. Stattdessen argumentierte man offiziell, daß eine Gruppe von Außerirdischen es sich aufgrund des spirituellen Zusammenhalts der Gruppe noch einmal anders überlegt hätten und man der Menschheit noch einmal eine Chance geben wollte. Eine hanebüchene Argumentation, aber offenkundig hilfreich um gedanklich „überleben“ zu können. Diese Beobachtung war die Geburtsstunde der Theorie der kognitiven Dissonanz, die seither eine Vielzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen zur Folge hatte.

Einerseits stellt diese Eigenschaft eine gewisse Stärke des Gehirns dar, denn sie verhilft uns schließlich dazu uns in gedanklichen Konfliktsituationen rasch wieder wohl zu fühlen in unserer Haut.  Andererseits stehen uns solche Neigungen auch mitunter im Weg. Sie hindert uns die Perspektive zu wechseln und andere Menschen mit ihren Standpunkten zu verstehen.

Reflexion bedeutet in diesem Zusammenhang, sich rasch darüber im Klaren zu werden: In welchen Situationen ertappe ich mich bei Denkgewohnheiten, die vielleicht gar nicht der Wirklichkeit entsprechen? Wo und an der ich in unangemessener Weise an Meinungen fest, die vielleicht gar nicht wirklich aus meiner tiefen Überzeugung entspringen, sondern mehr aus gedanklicher Bequemlichkeit, um mich nicht hinterfragen oder vielleicht ändern zu müssen oder eigene Fehler zuzugeben?

Klug ist, wer sich ab und an kritisch hinterfragt. Bleiben wir flexibel…

 

Quelle:

Festinger, L. (1957). A theory of cognitive dissonance. Stanford, CA: Stanford University Press.

 

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Es wäre mir eine große Ehre und Freude, wenn ich Sie künftig mitnehmen dürfte auf meine Reise durch die Welt von Geist und Gehirn.

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